Theater in Bochum vor Saladin Schmitt

Theater in Bochum vor Saladin Schmitt – Skript aus dem Nachlass von Kurt Dörnemann (1913-2009)
(Kurt Dörnemann hat zahlreiche Bücher über das Schauspielhaus Bochum veröffentlicht und als Kulturjournalist für Zeitungen und den Hörfunk viele Kritiken zu Aufführungen verfasst)

Im Ruhrgebiet gab es keine fürstlichen Residenzen. Hier konnten sich Bühnen nicht aus der Tradition des Hoftheaters entwickeln…. Die ersten Theateraufführungen in geschlossenen Räumen fanden in Bochum im alten Rathaus statt, wie man in Dr. Arnold Kortums „Nachricht vom ehemaligen und jetzigen Zustand der Stadt Bochum“ (1790) nachlesen kann: „Das zweite Stockwerk ist inwendig nicht ausgebaut und macht also ein großes Zimmer aus, welches zur Versammlung großer Gesellschaften, und wenn etwas Sehenswürdiges gezeigt werden soll, gegen Erlegung einer kleinen Abgabe an die Kämmerei, erlaubt wird; wie denn vor einigen Jahren eine Zeitlang von einem Trupp Schauspieler hier selbst ein Theater errichtet war.“ … Diese Schauspieler waren Wanderkomödianten. Deren Prinzipale mussten wie Gaukler, Puppenspieler, Zirkusleute zur Meldung bei der Ortspolizei antreten. Danach erst konnten die Leiter einer Truppe auf privater Basis Verträge mit Wirten abschließen. Sie boten in Gasthäusern in Sälen ihre bunten, weitgehend auf Unterhaltung abzielenden, mit Opern-, Operetten- und Singspielaufführungen reich besetzten Programme an. …

Dass man in den Kneipen über das damals vielgespielte, auch in Bochum gegebene Stück „Mathilde, das geprüfte Frauenherz“ groß diskutiert hat, kann man sich allerdings nicht gut vorstellen. Da wird es wohl eher um Werke gegangen sein wie „Abällino der Bandit“. Das Schauspiel in fünf Akten wurde, wie das älteste in Bochum aufbewahrte Journal, das 1829 gegründete „Wochenblatt für den Kreis Bochum“ meldete, am 31. Juli 1831 in Bochum gezeigt. Aber außer seinem Auftritt im Wochenblatt ist von Abällino nichts Besonderes zu berichten.

Indes: Bochums früheste Theatergeschichte geht weiter mit Banditen. Diesmal mit denen von einem gewissen Friedrich Schiller. … Im Jahre 1831 spielte man am 14. August zum ersten Mal in Bochum „Die Räuber“ vom genannten Schiller. Am 18. August wurde von einem gewissen Herrn Franz Grillparzer das Werk „Die Ahnfrau“ aufgeführt. Sechs Tage später zeigte man im Saal der Wirtschaft Limbrock an der Bongardstraße Schillers „Maria Stuart“ und beschloss die Folge der Gastspiele am 6. September mit der Oper „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart.

Dass man bei diesen Theatervorstellungen an Tischen saß, sein Bier trank und auch ´mal Würstchen mit Kartoffelsalat essen konnte, während Maria Stuart auf den Bühnenbrettern erbärmlich litt, versteht sich. Denn den Wirten ging es natürlich eher um die Bier- denn um die Kunstförderung. …

Zur Entwicklung des Profi-Theaters: Nach Einführung der Allgemeinen Gewerbefreiheit (um Mitte des 19. Jahrhunderts) ließ sich der Besitzer der Gaststätte Limbrock eine „Konzession für die Aufführung von Theatervorstellungen“ geben. Die Stadt gestattete ihm sogar, seinen Saalbau „Stadttheater“ zu nennen. Nach einer Renovierung des Saals wurde der Betrieb am 21. August 1870 festlich eröffnet. Auf dem neuen Bühnenvorhang waren Neapel mit qualmendem Vesuv und der Minerva-Tempel von Sorrent zu sehen. Was sich nach Heben der prächtigen Bildwerke dann auf der Bühne an Gastspielen bot, macht eine Information in der Zeitung „Märkischer Sprecher“ aus dem Jahre 1875 deutlich: „Wer recht von Herzen lachen und des Tages Last und Sorgen auf einige Stunden vergessen will, versäume nicht, sonntags das Theater zu besuchen.“ Laut offiziellen Angaben handelte es sich hier um „Theater für die niederen und mittleren Klassen“. …

Trotzdem galt das Interesse der Massen zu jener Zeit nicht den Theatermusen. Im April 1868, als ein gewisser Theaterdirektor Köhler mit seiner Truppe in Bochum gastierte, veröffentlichte dieser im „Märkischen Sprecher“ folgende Erklärung: „Da der Besuch der Vorstellungen leider nicht dem Maßstabe angemessen ist, als es meine enormen Auslagen für Gagen, Tageskosten etc. jeden Abend erfordert, bedauere ich, mit Ende dieses Monats die Theatersaison schließen zu müssen.“

Köhlers Nachfolger wurde Georg Issert. Er hat in Bochum als erster Shakespeare-Aufführungen gezeigt – und zwar die Werke „Hamlet“, „Othello“, „Macbeth“. Aber ihm ging betrüblicherweise die Frau mit dem Hauptdarsteller durch. Naja – schlimmer war; die beiden nahmen die Kasseneinnahmen mit.

Eine Pleite erlebte auch Eugen Ortlieb, der im Jahre 1881 in Bochum wirkte. Sein Gastspiel führte zu einem gewaltigen Theaterkrach. Er war eines Tages plötzlich aus Bochum verschwunden und hatte – nicht nur seine Schulden nicht bezahlt, sondern auch sein Personal ohne Gage zurückgelassen.

  • In einem eingehenden brieflichen Bericht an den Oberbürgermeister von Bochum suchte Ortlieb sich von einem gegen ihn bestehenden Verdacht zu reinigen. Er war der Ansicht, dass er all seinen Verpflichtungen hätte nachkommen können und erklärte, dass seine Schauspielergesellschaft ihn in der brutalsten Weise zur Aufgabe seines Geschäftes gezwungen hätte:
  • „Mir blieb weiter nichts übrig als abzureisen; vorher ging ich jedoch nach der Polizeiwache und zeigte meine Abreise nach Berlin an, um den Schein von mir zu nehmen, ich sei heimlich fortgegangen.“ – Auch im Schluss seines Berichtes legte Ortlieb die Schuld an der Katastrophe seinen Schauspielern bei, die unwahre Behauptungen über ihn ausgestreut hätten.

Von den weiteren Prinzipalen, die in Bochum ihr Glück versuchten, liegt einer in Bochum, auf dem Alten Friedhof an der Wittener Str. begraben. Er hieß Gustav Mewes, war vor der Jahrhundertwende ein in Westfalen weitgereister und bekannter Theatermann. Er hat in Bochum zum ersten Mal Goethes „Faust“, den ersten Teil, geboten.

Mehrere Prinzipale haben auch versucht, durch Spielen in zwei Städten die notwendigen Einnahmen zu erzielen. So gab die Truppe von Ignaz Pook in Bochum und Dortmund Vorstellungen, die von August Berthold in Essen und Bochum. …

Hier brannte die Spielstätte im Saalbau Limbrock 1886 ab. Nun ging der Name „Stadttheater“ an ein anderes Gebäude über. An der Rottstr. hatten im Jahre 1884 ein Rechtsanwalt und ein Bauunternehmer einen Bau finanziert, in dem eine Wirtschaft mit einem Saal untergebracht war. Fortan probierten die reisenden Theaterprinzipale ihr Glück in diesem Haus, das nun den Namen „Neues Stadttheater“ tragen durfte. Die Erwartungen an das neue Stadttheater waren an der Giebelwand des Bühnenraums formuliert: „Vom Dichterwort erfüllt, durchrauscht von Tönen, Sei dieses Haus geweiht dem wahrhaft Schönen“.

Endlich hatte Bochum einen als modern und repräsentativ empfundenen Theaterbau. Doch hielt diese Meinung nur zwei Jahrzehnte. Denn das Stadttheater wurde bereits 1890 nur noch charakterisiert als eine „wüste Scheune, die im Sommer als Bierstube dient.“

Als während der 1890er-Jahre in den benachbarten großen Städten Dortmund und Essen mächtige, repräsentative Theaterhäuser – von den Städten mitfinanziert – eröffnet worden waren, gelang es in Bochum um die Jahrhundertwende immerhin einem Theaterunternehmen (zum ersten Mal!), einen städtischen Zuschuss von 1000,-Mark (für eine Saison) zu erhalten. Die Stadt war um 1900 Großstadt geworden. Da fasste man endlich auch in Bochum den Entschluss, einen Theaterbau zu errichten. Den Mut hatte allerdings ein Privatmann.

Der Bauunternehmer Clemens Erlemann baute an der Königsallee, dort, wo heute das Schauspielhaus steht, ein gewaltiges Haus mit 1400 Plätzen für Veranstaltungen aller Art (Varieté, Konzerte, Theater). Dieser Bauherr schloss in den folgenden Jahren Verträge mit Theaterleuten, die als Direktoren amtierten und ihrerseits die Künstler engagierten. Das Haus wurde unter dem Namen „Apollo-Theater im Oktober 1908 eröffnet. Der „Bochumer Anzeiger und Generalanzeiger berichtete darüber:

„… Nach dem offiziellen Rundgang durch das Theater schlug Bochums Oberbürgermeister ans Glas und führte aus, dass alle Anwesenden aufs höchste erfreut darüber seien, dass hier ein so schöner, vornehmer, allen, selbst den höchsten Anforderungen entsprechender Tempel entstanden sei, in dem fortan die Musen uns erfreuen sollen. Mögen sich alle Hoffnungen erfüllen, die uns in diesem Augenblick für dieses Haus beseelen. Eine besondere Freude bereitet es, dass diese prächtige Stätte nicht allein der leichten Muse gewidmet sein solle, dass auch der ernsten Kunst, die uns belehrt und erzieht, hier eine vornehme Pflegestatt errichtet wird. Dann wird dieses Theater ein Haus werden, wo wir uns nach des Tages Arbeit gern zu höherem Genuss immer und immer wieder einfinden werden, um ganz und gar mit dieser liebgewordenen Stätte zu verwachsen.“  …

Nach dem Glanz der Eröffnungstage ließ die Zugkraft des Programms unter den vom Bauherrn Erlemann verpflichteten Leitern (Schauspieler, Sänger) ziemlich schnell nach. Es nützte nur wenig, dass der große Zuschauerraum etwas verkleinert wurde, das Haus war nie gut besetzt. Auch eine etwas stärkere finanzielle Beteiligung der Stadt und die Ersetzung des Namens „Apollo“ durch die Titulierung „Neues Stadttheater“ vom Jahre 1910 an brachte keine Steigerung des Ansehens, keinen höheren Publikumsbesuch. … Die Leute kamen nicht. Als nach zwei weiteren Jahren aus finanziellen Gründen der Spielbetrieb ganz eingestellt werden musste und in den Zeitungen schon von einer „Ruine an der Königsallee“ geschrieben wurde, war die Stadt gezwungen, das Theater ganz in ihre städtische Verwaltung zu übernehmen. Das begann man damit, dass nochmals ein Umbau und eine weitere Verkleinerung der Zahl von Zuschauerplätzen – auf nun 950 – vollzogen wurde. Jetzt endlich bekam das Haus den Namen „Stadttheater Bochum“. Inzwischen hatte der Erste Weltkrieg begonnen. So kam es, dass in diesem Stadttheater Bochum mitten im Krieg zum ersten Mal der Vorhang hochging. Das geschah am 30. Dezember 1915, abends um 8 ¼ Uhr, und zwar mit einem Gastspiel des Schauspielhauses Düsseldorf, das eine Aufführung von Schillers „Don Carlos“ zeigte.

Ein eigenes Ensemble hatte man natürlich nicht, nur eben einen städtisch verwalteten Theaterbau. So sah man dann auch während des Krieges auf dessen Szene nur Gastspiele, und zwar von den städtischen Bühnen in Düsseldorf und Essen. …

Der Besuch war von Anfang an äußerst rege. Das zeigte, welch großem Bedürfnis man durch die Schaffung des Stadttheaters entgegengekommen war. Das Interesse, insbesondere für die Opernvorstellungen, war so stark, dass selbst bei größerer Kälte die Käufer von Eintrittskarten sich abends vor der Kasse aufstellten, um nach durchwachter Nacht am anderen Morgen rechtzeitig zur Stelle zu sein. Dieser Andrang hielt während der ganzen Zeit ungeschwächt an und dehnte sich auch auf die Schauspielvorstellungen aus. …

Nach Kriegsende gab es endlich die Einrichtung eines selbstständigen Bochumer Stadttheaters mit eigenem Ensemble. Der junge, tatkräftige Stadtrat Dr. Stumpf verpflichtete als Theaterleiter einen gewissen Dr. Saladin Schmitt. … Mit Saladin Schmitt begann der Aufstieg des Bochumer Schauspiels, das schnell eine der besten Adressen des deutschen Theaters wurde.